Bild-Kunst MV 2016 – Geschäftsbericht Dr. Urban Pappi

Auf der diesjährigen ordentlichen Mitgliederversammlung am 2. Juli in Bonn stufte der geschäftsführende Vorstand, Dr. Urban Pappi, die politische und wirtschaftliche Lage der VG Bild-Kunst verhalten positiv ein. Im Folgenden geben wir seine Rede an die Mitgliedschaft in ihrem wesentlichen Inhalt wieder.

(Der Einfachheit halber wird im gesamten Text die männliche Form verwendet; die weibliche Form ist selbstverständlich eingeschlossen)

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Ehrenmitglieder und Mitglieder der VG Bild-Kunst,

das laufende Geschäftsjahr 2016 erweist sich als eines der besonders herausfordernden Jahre in der Geschichte unserer Verwertungsgesellschaft. Wir werden im Herbst gleich zwei außerordentliche Mitgliederversammlungen einberufen, um die von Gesetzgeber und Gerichten verlangten Änderungen unserer Arbeits- und Verteilungspraxis in unser Regelwerk umzusetzen. Vor dieser Herkulesaufgabe verblasst die Freude über das erfolgreiche Geschäftsjahr 2015, in dem wir das zweitbeste Ergebnis überhaupt erzielen konnten.

In der heutigen Versammlung der Mitglieder werden wir zum dritten Mal in Folge über die Änderung unserer Satzung diskutieren. Die Änderungen sind notwendig geworden, weil uns das neue Verwertungsgesellschaftengesetz – in Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie – mit 139 Paragrafen beizubringen versucht, wie ordentlich zu wirtschaften ist. Das Vorgängergesetz von 1965 kam noch mit 28 Paragrafen aus. Man erkennt sofort - wir leben mittlerweile in einer durchregulierten Welt. Ob die Bürger das so wollen oder ob der Politikapparat in Analogie der Parkinsonschen Behördengesetze auf Dauerbetrieb geschaltet ist, sei dahingestellt.

Mit einigen neuen Vorschriften haben wir unsere Schwierigkeiten, vor allem mit dem Erfordernis der Einführung der elektronischen Abstimmung in der Mitgliederversammlung. Was sich auf den ersten Blick als durchaus zeitgemäßer Service für Sie, liebe Mitglieder, darstellt, entpuppt sich beim zweiten Hinschauen als ein Minenfeld. Denn die technischen Systeme sind beileibe noch nicht Standard und nicht umsonst hat der Deutsche Bundestag einer Abstimmungsdigitalisierung bislang eine Absage erteilt. Selbst die Piratenpartei musste auf dem Höhepunkt ihres Wirkens Abstand nehmen vom Traum der totalen digitalen Demokratie. Aber der Gesetzgeber zwingt uns Verwertungsgesellschaften als Versuchskaninchen dazu, die elektronische Abstimmung ohne Sicherheitsnetz einzuführen. Dabei ist die VG Bild-Kunst mit 58.000 stimmberechtigten Mitgliedern am stärksten betroffen: bei der GEMA sind nur 6.500 ordentliche Mitglieder stimmberechtigt und bei der VG Wort nur 500.

Meine Damen und Herren, die elektronische Abstimmung ist nur eines von vielen Themen, mit denen wir uns derzeit befassen. Im Fokus steht natürlich die große Reform des Verteilungsplans, die wir Ihnen Mitte Dezember auf einer außerordentlichen Versammlung vorlegen wollen. Neben der Einarbeitung der neuen gesetzlichen Regelungen haben wir uns die Verbesserung der Struktur und der Transparenz dieses zentralen Regelwerks vorgenommen. Ein Verteilungsplan sollte aus sich selbst heraus verständlich sein.

Einen wichtigen Teilaspekt der Verteilung der Vergütungen für unsere Berufsgruppen I und II ist revisionsbedürftig, weil ihn der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom April beanstandet hat: ich spreche natürlich von dem Verfahren Vogel ./. VG Wort und der Verlegerbeteiligung, die in Zukunft ohne gesetzgeberische Maßnahmen nur noch sehr eingeschränkt möglich sein wird. Das Urteil mag man als Urheber begrüßen oder als Verleger bedauern – seine wirtschaftlichen Folgen werden sich auf die Kulturlandschaft in Deutschland auswirken: alleine bei VG Wort und VG Bild-Kunst müssen Ausschüttungen in Höhe von bis zu EUR 130 Mio. rückabgewickelt werden. Das wird nicht jeder betroffene Verlag ohne Weiteres schultern können.

Im Hinblick auf die Zukunft müssen wir uns die politischen Konsequenzen des Urteils vor Augen führen: die gemeinsame Rechtewahrnehmung von Urhebern und Verlegern steht auf dem Spiel, die bei der VG Wort immerhin seit 1959 zu guten Ergebnissen für beide Seiten geführt hat. Treibt man einen Keil zwischen Urheber und Verleger, nutzt das zu allererst den Zahlungsschuldnern, also Großkonzernen, die seit Jahren daran arbeiten, Privatkopievergütung und Kabelgroschen abzuschaffen - also unsere Haupteinnahmequellen.

Meine Damen und Herren, kein Gericht hat geurteilt, Verleger sollen nichts bekommen. Geurteilt wurde nur, Verleger dürfen - auf der Basis des geltenden Rechts - nichts erhalten. Dieses Ergebnis sieht man dem Gesetz aber nicht an, geschweige denn gab es im Vorfeld eine politische Diskussion über das Thema Verlegerbeteiligung. Vielmehr ist es so, dass die Verlegerbeteiligung jahrzehntelang als rechtmäßig angesehen worden war, bevor im Jahr 2001 die EU-Urheberrechtsrichtlinie auf den Weg gebracht wurde. Dort wurden Formulierungen gewählt, die jetzt – 15 Jahre später – von den Gerichten so ausgelegt werden, dass Verleger von den Verteilungen weitgehend ausgeschlossen werden. Wir haben es somit nicht mit einer bewussten Entscheidung des demokratisch gewählten Gesetzgebers zu tun, sondern mit einem Kollateralschaden der Kompetenzverlagerung zur Regelung des Urheberrechts von den Nationalstaaten auf die EU. Niemand wollte die kollektive Rechtewahrnehmung kippen, aber dann ist es halt passiert, weil die Materie wohl selbst für die Juristen zu komplex ist. Ich wende mich nicht dagegen, die Verlegerbeteiligung auf den politischen Prüfstand zu stellen. Was ich kritisiere ist die Tatsache, dass sich hier das Recht verselbstständigt zu haben scheint. Immerhin scheint das Thema auf europäischer Ebene jetzt auch inhaltlich diskutiert zu werden.

Dieser Tage wird Europa natürlich von einem ganz anderen Thema beherrscht: dem Votum der Briten für einen Ausstieg aus der Union. Allenthalben liest man Berichte und Kommentare, wie sich ein solcher Schritt auf die Wirtschaft des Kontinents auswirken wird. Auf dem Kontinent werden die Vorteile der Europäischen Union skizziert, auf die Großbritannien nun wohl bald wird verzichten müssen.

Blickt man als deutscher Urheber auf die europäische Bilanz im Bereich des Urheberrechts, dann müsste man allerdings für „Leave“ stimmen. Denn die Bilanz ist schlecht, sehr schlecht. Lassen Sie mich das begründen: 

  • Da ist zunächst die Überregulierung durch die Richtlinie über Verwertungsgesellschaften von 2014, die durch das jetzt vom Bundestag verabschiedete VGG umgesetzt wird. Aus deutscher Sicht hatten wir schon vorher einen gut funktionierenden Rechtsrahmen. Die europäische Regelung wurde aus Brüsseler Sicht notwendig, nachdem es in Spanien zu einem großen Betrugsskandal rund um das dortige GEMA-Pendant „SGAE“ gekommen war. Uns werden somit neue Bürokratielasten aufgebürdet, weil wir in Mithaftung genommen werden.
  • Bedeutend negativer wirkt sich aus, dass die große deutsche Erfindung der Privatkopievergütung – ja ganz recht, dieses Institut wurde in Deutschland 1965 ins Leben gerufen – in Brüssel ständig auf dem Prüfstand steht. Man sägt beständig an unserer Hauptfinanzierungsquelle, getrieben von den Großkonzernen der Geräteindustrie, die ihre Gewinne steigern wollen, und unterstützt von Ländern wie Großbritannien, die keine Gerätevergütung kennen und die ihr deshalb äußerst skeptisch gegenüber stehen. Europa birgt im Urheberrecht ständig die Gefahr einer Vereinheitlichung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Und das Unternehmen Apple, das fast keine Steuern zahlt, darf wieder ein paar Prozent mehr Geld einfahren. Hoffentlich zahlen sie Strafzinsen.
  • Wir müssen uns vor Augen führen, dass die Europäische Kommission keine echte demokratisch gewählte Regierung ist. Sie ist eine Behörde mit dem primären Auftrag, den europäischen Binnenmarkt zu stärken. Und da stehen Unternehmen und Konzerne nun einmal im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Urheberrecht für Urheber zu machen, das erfordert dagegen eine Wertschätzung für den Kultursektor, die in Brüsseler Fluren weit und breit nicht auszumachen ist. Warum auch? Kultur ist ja Sache der Einzelstaaten. Pech für die Urheber, dass die Kommission ein Mitspracherecht bei der Gestaltung des Urheberrechts hat. Sie wissen, dass Günther Oettinger als Binnenmarktkommissar für das Urheberrecht zuständig ist, nicht als Kulturkommissar. Wenn Sie jetzt denken: „Aber das Europäische Parlament ...“ - meine Damen und Herren: vergessen Sie es. Das EU-Parlament hat kein Initiativrecht für neue Gesetze. Es kann nur die Vorschläge der Kommission, also der Industrie-Lobby, ein wenig feilen.
  • Wenn wir uns jedenfalls auf eine starke Rechtsprechung verlassen könnten, die uns vor allzu gierigen Konzerninteressen schützt, wäre ja immerhin etwas Terrain gewonnen. Aber auch hier: das Gegenteil ist der Fall. Der EuGH verfügt über keine spezielle Urheberrechtskammer. Entscheidungen fallen in angloamerikanischer „case law“-Manier einzelfallbezogen und ohne erkennbare Systematik. Ich erinnere an die jüngsten Entscheidungen „Best Water“ und „Svensson“ zum Thema der Verlinkung im Internet: vorher hatten wir in Deutschland eine ausgewogene Rechtsprechung, nach der für eingebundene Inhalte nur gehaftet wurde, wenn sich der Websitebetreiber diese Inhalte zu eigen machte. Nach dem EuGH dagegen kann man auf jeden Inhalt verlinken, ohne irgendwelche Konsequenzen tragen zu müssen. Argument: was rechtmäßig ins Netz gestellt wurde, ist ja eh frei verfügbar. Wenn ich in meinem zweiten juristischen Staatsexamen so simpel fabuliert hätte, stünde ich jetzt nicht hier.
  • An anderer Stelle würde ein wenig Vereinfachung dem System gut tun: nun schließt sich der Kreis und ich komme wieder auf das Thema Verlegerbeteiligung zu sprechen. Wenn Europa dazu führt, dass jahrzehntelange Gewissheiten auf dem Altar der Begriffsjurisprudenz geopfert werden, anstatt dass man eine anständige politische Debatte über das Für und Wider eines Themas führt, dann sind Zweifel am System angebracht. Natürlich, beim Thema Verlegerbeteiligung mögen sich jetzt die Urheber freuen, aber wie sieht es das nächste Mal aus? Wer verliert das nächste Mal? Ich befürchte, im Großen und Ganzen stehen die Urheber auf der Verliererseite, wenn das Spiel so weiter geht.

Ein Urheberrecht, das seinen Namen wert ist, setzt zwei Dinge voraus: erstens die Bereitschaft, das System immer wieder mutig an die sich ständig ändernden Nutzungsformen anzupassen, und zweitens Verlässlichkeit, also die Gewissheit, dass einmal gefundene Regeln auch gelten und nicht jede Minute von irgendeinem Gericht gekippt werden können.

Es gibt durchaus gute Ideen, wie man das Urheberrecht im digitalen Zeitalter im Sinne der Urheber modernisieren könnte:

Denken wir an die Diskussion über die Verantwortlichkeit der großen Plattformbetreiber – YouTube, Facebook, Instagram etc. – für die von den Endnutzern hochgeladenen Inhalte. Momentan sind die Plattformen von jeglicher Haftung freigestellt – aufgrund einer Regelung aus den 90’er Jahren des letzten Jahrhunderts, als es social media noch gar nicht gab. Eine Beseitigung der Haftungsprivilegierung verknüpft mit einer neuen Schranke für, von Endnutzern hochgeladene Inhalte und garniert mit einer von den Betreibern zu zahlenden Vergütung würde den Urheberinnen und Urhebern neue Geldquellen auftun, die die schwindende Privatkopievergütung ersetzen könnte.

Oder nehmen wir den Filmbereich: warum gewähren wir nicht den Filmurhebern einen unverzichtbaren Vergütungsanspruch, wie wir ihn schon seit Jahr und Tag im Bereich der Kabelweitersendung kennen? Die Verbotsrechte würden nach wie vor von den Produzenten wahrgenommen werden – die Filmurheber wären jedoch nicht allein auf diese angewiesen, sondern würden, ähnlich wie in Italien, über ihre Verwertungsgesellschaften laufende Vergütungen für Onlinenutzungen erhalten. Ein entsprechender Vorschlag liegt schon seit Jahren bei der EU-Kommission auf dem Tisch.

Beide Initiativen müssten natürlich gegen die üblichen Widerstände der Industrie durchgesetzt werden. Dazu braucht es Mut, der aber derzeit nirgendwo in Brüssel auszumachen ist.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns das ändern und gemeinsam politisch Druck ausüben auf die verantwortlichen Politiker! Lassen Sie uns weiter kämpfen für ein Urheberrecht für Urheber!

Vielen Dank.