Endspurt bis zur EU-Parlamentswahl im Mai

Im Mai wird die neue EU-Kommission gewählt. Die aktuell amtierenden EU-Beamten wollen ihren Nachfolgern den Weg vorbereiten – im Dezember 2013 wurde eine öffentliche Konsultation mit rund 80 Fragen versendet – Wie kann man das europäische Urheberrecht modernisieren? Und: behutsam oder radikal? Ein klarer Trend fordert uns heraus.

Im Mai wird die neue EU-Kommission gewählt. Die aktuell amtierenden EU-Beamten wollen ihren Nachfolgern den Weg vorbereiten – im Dezember 2013 wurde eine öffentliche Konsultation mit rund 80 Fragen versendet – Wie kann man das europäische Urheberrecht modernisieren? Und: behutsam oder radikal? Ein klarer Trend fordert uns heraus.

Die Amtszeit der derzeitigen EU-Kommission ist an die Legislaturperiode des Europaparlaments geknüpft, welches im Mai – in ziemlich genau vier Monaten – neu gewählt wird. Normalerweise passiert vor Wahlen nicht mehr viel – der amerikanische Präsident wird sogar vor dem Ende einer zweiten (und letzten) Amtsperiode als "lame duck" bezeichnet. Umso erstaunlicher erscheint es, dass die Kommission im Bereich des Urheberrechts momentan in hektische Betriebsamkeit verfallen ist. Über Weihnachten wurde an die betroffenen Kreise eine öffentliche Konsultation versendet mit knapp 80 Fragen, wie man den europäischen Urheberrechtsrahmen modernisieren könnte.

Endspurt Richtlinienentwurf 

Erkennbar wollen die jetzigen EU-Beamten ihren Nachfolgern den Weg bereiten, wenn diese im Spätsommer die Amtsgeschäfte aufnehmen. Dann sollen die für den europäischen Gesetzgebungsprozess üblichen Grünbücher, Konsultationen, Folgenabschätzungen und Fahrpläne fertig auf dem Tisch liegen, so dass zügig ein Richtlinienentwurf vorgelegt werden kann.

Diese Vorgehensweise stellt einen Kompromiss zwischen verschiedenen Interessen dar: 

Denn auch auf europäischer Ebene gibt es die Besonnenen, die eine behutsame Anpassung des Urheberrechts an die Anforderungen der digitalen Wirtschaft befürworten. Und die Ungeduldigen, die das Urheberrecht radikal zurechtstutzen wollen, um damit neuen digitalen Diensten möglichst schnell alle Hindernisse - also die Pflicht zum Erwerb von Lizenzen - aus dem Weg zu räumen.

Urheberrechtsreform: Behutsam oder radikal?

Die Besonnenen werden angeführt von Binnenmarktkommissar Michel Barnier, einem Franzosen, was nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass das kontinentaleuropäische Urheberrecht in Frankreich "erfunden" wurde. Dieses sieht den Urheber im Zentrum des Geschehens. Die Radikalen werden angeführt von Neelie Kroes, einer Niederländerin, die dem angelsächsischen Urheberrechtsverständnis zugeneigt ist. Dieses sieht das Urheberrecht als reines Instrument zur Förderung von Innovationen an. Der Urheber ist dort aber nur ein Teil der Verwertungskette.

Es kam zum Streit um den richtigen Umgang mit dem Urheberrecht zwischen Barnier und Kroes, so dass sich Kommissionspräsident Barroso Ende 2012 gezwungen sah, die Kontrahenten zu einem Kompromiss zu verpflichten. Danach wurde eine zweigleisige Vorgehensweise verabredet: 

Zunächst sollte 2013 ein Dialog der Interessengruppen durchgeführt werden. Ziel war es, dass die Beteiligten – Rechteinhaber und Nutzer – für einige der drängenden Probleme freiwillige Lösungen aushandeln. Hinter diesem Dialog stand Michel Barnier, der darauf setzt, dass man für die Probleme der Digitalisierung auch im bestehenden Urheberrechtsrahmen Lösungen finden kann. Die abschließende Plenarsitzung dieses Dialogs mit dem bezeichnenden Namen "Lizenzen für Europa" fand am 13. November 2013 statt. Wir haben darüber berichtet.

Nach dem Abschluss dieser Initiative folgt nun das im Dezember 2012 ausgehandelt Zugeständnis an die radikalen Urheberrechtsreformer, also an Kommissarin Neelie Kroes: Die Vorbereitung des Prozesses einer möglichen Änderung des europäischen Urheberrechtsrahmens.

Fragebogen gibt angloamerikanische Richtung vor

Der vorliegende Fragebogen der Kommission, der bis zum 5. Februar beantwortet werden muss, will Bereiche identifizieren, in denen ein Reformbedarf besteht. Aber alleine die Auswahl der Fragen zeigt, in welche Richtung der Hase laufen soll: Es geht vor allem um die Schranken des Urheberrechts. Die Radikalen wollen das Urheberrecht so beschneiden, dass vielfältige Nutzungen von urheberrechtlich geschützten Werken durch moderne digitale Dienstleister ohne Lizenzerwerb möglich werden. 

Die USA dienen als Vorbild: Dort entschied Mitte November ein Berufungsgericht, dass das Einscannen von 20 Millionen Büchern durch Google auch ohne Lizenzerwerb möglich sei – Begründung: der neue Dienst nütze der Gesellschaft. Das ist auch unbestritten. Warum aber die Urheber dabei komplett leer ausgehen sollen, ist nach dem kontinental-europäischen Urheberrechtsverständnis nicht nachvollziehbar. Das US-Gericht stützte seine Entscheidung übrigens auf die Schranke des "fair use", eine Art Universalausnahme zum Urheberrechtsschutz, die den Gerichten als Gummiparagraph dient und Rechtssicherheit erst nach ewigen Verfahren möglich macht. Google begann bereits 2004 mit dem Einscannen – das Verfahren ist immer noch nicht rechtskräftig entschieden.

Die von der EU-Kommission mit dem Fragebogen eingeleitete öffentliche Konsultation gibt allen Anhängern des angloamerikanischen Urheberrechtsverständnis eine Steilvorlage, ihre Reformwünsche zu artikulieren und den Hardlinern in der Kommission wiederum die Möglichkeit, den Reformbedarf als dringend notwendig darzustellen. 

Alle Vertreter eines kontinentaleuropäischen Urheberrechtsverständnisses, die es für notwendig ansehen, dass die Werkschöpfer auch im digitalen Zeitalter eine angemessene Vergütung erhalten sollen, sind jetzt gefordert. Wir werden Sie auf dem Laufenden halten.