Geschichte der gemeinsamen Rechtewahrnehmung: Einführung der Bibliothekstantieme
Im Jahr 1972 wurde die sogenannte Bibliothekstantieme in das Urheberrechtsgesetz (UrhG) aufgenommen. Sie galt als Reaktion auf das von prominenten Autoren propagierte "Ende der Bescheidenheit" zur besseren sozialen Absicherung der Urheber. Es handelte sich um eine Fortschreibung des geltenden Systems der sog. Vergütungsansprüche. Diese wurden mit Inkrafttreten des modernen deutschen Urheberrechtsgesetzes im Jahr 1966 eingeführt; zuerst als eine von den Geräteherstellern zu zahlende Vergütung zur Kompensation der Musikurheber und ihrer Verleger für das zunehmende Mitschneiden von Rundfunksendungen mit Tonbandgeräten.
Mit der Bibliothekstantieme sollten die Wortautoren dafür entschädigt werden, dass Leser Bücher kostenlos in öffentlichen Bibliotheken ausleihen konnten und damit den Anschaffungspreis, in dem regelmäßig eine prozentuale Beteiligung des Autors enthalten war, sparten.
Es war allen Beteiligten klar, dass auch die Verleger - ohne deren kulturwirtschaftliche Aktivität das Buch nicht hätte erscheinen können - an dieser Tantieme partizipieren sollten, denn auch sie wurden durch die Ausleihe geschädigt. So bestand allgemeiner Konsens, dass die neue Vergütung von einer gemeinsamen Verwertungsgesellschaft der Autoren und Verleger verwaltet werden sollte; nämlich der schon 1958 gemeinsam von Autoren und Verlegern gegründeten VG Wort.
Es wurde damals nicht als Hindernis betrachtet, dass die Verleger – im Gegensatz zu Tonträger- und Filmproduzenten – nicht über ein eigenes Leistungsschutzrecht verfügten. Dieses hätte sie wie andere Kulturunternehmen als Hersteller oder Gestalter des für den Markt konfektionierten Werks der Literatur gesondert geschützt. Grund dafür war vor allem, dass im Unterschied zu allen anderen Branchen in der langen Geschichte der Herstellung von Büchern und Zeitschriften Formen der Kooperation gefunden wurden, die in der Mehrzahl der Fälle eine für alle Seiten auskömmliche Aufteilung der aus der Verwertung der Texte erzielten Erlöse zwischen Verlegern und Autoren zur Folge hatte.
Demzufolge gab es weder Diskussion noch Kritik daran lassen, dass die VG Wort, die sich satzungsgemäß als gemeinsame Gesellschaft der Autoren und Verleger definierte, Verlegern gleiche Rechte in der Mitgliederversammlung einräumte und der Verteilung der Bibliothekstantieme einen festen Aufteilungsschlüssel zwischen Autoren und Verlegern zu Grunde legte. Im Bereich Belletristik und Journalismus erhalten Urheber 70% und Verleger 30%. Im Bereich Wissenschaft gilt der noch von der früheren VG Wissenschaft bei der Fusion mit der VG Wort übernommene Schlüssel von 50% zu 50%.
Neue Erlöse für Text-, Bild- und Filmurheber aus privater Vervielfältigung
Als mit der Reform 1985 Vergütungsansprüche für die private Vervielfältigung von Texten (§ 53 ff.) in das Gesetz aufgenommen wurden, um dem zunehmenden Kopieren und der damit eingehenden Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen von Urhebern und auch Verlegern Rechnung zu tragen, wurden diese Verteilungsschlüssel fortgeschrieben. Die neuen Vergütungsansprüche wurden im allgemeinen Konsens in der VG Wort und wenig später auch in der VG Bild-Kunst zwischen Verlegern sowie Wort- bzw. Bildautoren geteilt; im Falle der VG Bild-Kunst unter aktiver Mitwirkung der Aufsichtsbehörde, des damaligen Deutschen Patentamts.
Beide Verwertungsgesellschaften schufen Melde- und Vergütungssysteme, in denen sowohl Werkanmeldungen der Verleger als auch der Autoren zusammengeführt wurden, um eine möglichst große Schnittmenge von identifizierten Werken als Grundlage für die Ausschüttung zu Gunsten beider berechtigter Seiten zu gewinnen. Dieses System beruhte auf der gemeinsamen Festlegung von Verteilungsquoten zwischen Urhebern und Verlegern. Dabei kam es nicht mehr darauf an, ob, wann und in welcher Form die zu Grunde liegenden gesetzlichen Ansprüche Gegenstand von Verlagsverträge wurden und wer die Rechte zuerst angemeldet hatte. An der Verteilung konnten immer nur Verleger und Urheber nach den von den Gremien mit satzungsmäßiger Mehrheit beschlossenen Verteilungsplänen teilnehmen. Ein Ausscheren zum Nutzen der einen und zum Nachteil der anderen Seite war ausgeschlossen.
Dieses System, das nicht nur die Beteiligten als interessengerecht ansahen, sondern auch die Aufsichtsbehörde und die Politik, bestand allerdings nur im Bereich der Literatur und der Musik, wo die GEMA und die VG Musikedition auf entsprechende Weise im Detail differenziert die anfallenden Vergütungen für die private Aufzeichnung von Musik zwischen Musikverlegern, Komponisten und Textdichtern verteilten.
In anderen Bereichen, für die ebenfalls Vergütungen anfielen, galt diese Harmonie hingegen nicht. Vor allem im Filmbereich, für den Vergütungen aus dem privaten Mitschnitt von Fernsehsendungen anfielen, bestanden von Anfang an mindestens vier Verwertungsgesellschaften, die unterschiedliche Verteilungsschlüssel zwischen Produzenten und Filmurhebern anwandten. Es konnte also vorkommen, dass die Urheber bei gleicher Leistung in der einen Gesellschaft einen Anteil von 50% aus der Vergütung für den Mitschnitt eines Films erhielten, in einer anderen (mit Zustimmung der wenigen Urhebermitglieder) hingegen nur 20%. Der damalige Präsident des Deutschen Patentamts nannte das eine "willkommene Konkurrenz" und tolerierte das System. Es konnte allerdings nicht funktionieren, da nur ein Kuchen zu verteilen war. Im Gegensatz zu den Verlegern waren Filmproduzenten in dieser Situation durchaus daran interessiert, sich von den Urhebern möglichst auch diese Vergütungsansprüche in den Produktionsverträgen abtreten zu lassen und sie über ihre Verwertungsgesellschaft geltend zu machen, um ihren Anteil zu erhöhen.
Urhebervertragsrecht: Einführung des § 63 a
Angesichts dieser für sie unbefriedigenden Situation forderten die Urheber eine Regelung zum Schutz ihrer Ansprüche. Im Rahmen der Gesetzgebung zum Urhebervertragsrecht im Jahr 2002 wurde deshalb § 63 a ins Gesetz eingeführt. Dieser sah vor, dass zukünftig entstehende Vergütungsansprüche von Urhebern nur noch an eine Verwertungsgesellschaft abgetreten werden konnten, nicht aber an einen Produzenten. Die Produzenten verfügten ohnedies über ihr eigenes Leistungsschutzrecht, das ihnen in der Regel 50% des Vergütungsanteils sicherte. Allerdings bezieht sich der § 63 a ausdrücklich nur auf gesetzliche Vergütungsansprüche. Alle weiteren Verteilungen gemeinsamer Erlöse für Werke unterliegen der vertraglichen Vereinbarung der Urheber und Produzenten im Rahmen der Vertragsfreiheit.
Bei dieser Gesetzgebung bestand Einvernehmen, dass die gleiche Schutzbedürftigkeit der Urheber in Bezug auf gesetzliche Vergütungsansprüche in der vermeintlich heilen Welt der Verlage und Autoren nicht bestand, denn dort war die Verteilung einvernehmlich innerhalb der VG Bild-Kunst und der VG Wort geregelt. Aus den Augen gelassen wurde dabei aber, dass die Verleger nicht über ein eigenes Leistungsschutzrecht verfügten und dass deshalb – rechtlich gesehen – mit dem neuen § 63 a die bisher bestehende Rechtsgrundlage für die gemeinsame Verteilung in Form von gemeinsamen Verteilungsplänen der Verleger und Urheber in den Verwertungsgesellschaften verloren zu gehen drohte. Dementsprechend wurde diese Frage im Gesetzgebungsverfahren zu keinem Zeitpunkt thematisiert. Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass der Gesetzgeber nicht stillschweigend tolerieren wollte, dass der Verlagsbranche ein jährliches Beteiligungsvolumen in zweistelliger Millionenhöhe über Nacht im Handstreich genommen wurde.
Dennoch kam es – unter Hinweis auf den nunmehr angeblich klaren Gesetzeswortlaut – nach dem Inkrafttreten des Gesetzes sofort zu Diskussionen in der VG Wort mit dem Ziel, zumindest für die Zukunft den Verlegeranteil abzuschaffen. Nur für die Aufteilung von vor Inkrafttreten des Gesetzes veröffentlichten Texten sollten die alten Regeln fortgelten. Die auch vor dem LG München geführten Auseinandersetzungen hatten vorübergehende Anpassungen der Verteilungsschlüssel zur Folge, die später wieder zurückgenommen wurden.
Ergänzung des § 63 a
Der Gesetzgeber - die Abgeordneten des Deutschen Bundestages - wurde auf das Problem aufmerksam und verabschiedete im Jahr 2007 eine Ergänzung des § 63 a, mit der das, was als Versäumnis erkannt wurde, geheilt werden sollte. Die Verlegerbeteiligung sollte auch weiterhin uneingeschränkt möglich sein. Dem § 63 a wurde ein ergänzender Satz eingefügt, nach dem Vergütungsansprüche im Voraus zwar an einen Verleger abgetreten werden können, aber nur, wenn dieser sie zur gemeinsamen Wahrnehmung in eine Verwertungsgesellschaft einbringt, die die Rechte von Verlegern und Urhebern gemeinsam wahrnimmt.
In der Gesetzesbegründung wird deutlich formuliert, dass "ein Ausschluss der Verleger von der pauschalen Vergütung ... angesichts der von ihnen erbrachten erheblichen Leistung … sachlich nicht hinnehmbar ist" und dass gewährleistet werden soll, "dass die Verleger auch in Zukunft an den Erträgen der VG Wort angemessen zu beteiligen sind".
Der renommierte Kommentator Prof. Dr. von Loewenheim erkannte ihre Schwächen scharfsinnig bald nach Inkrafttreten dieser Neuformulierung 2008; allerdings andere, als sie jetzt das OLG München ausmachte. Loewenheim sah voraus, dass in der neuen Formulierung die Möglichkeit bestand, dass Verleger sich die Ansprüche abtreten lassen, sie in eine andere Verwertungsgesellschaft als die VG Wort einbringen und dort durchsetzen können, so dass an Verleger Vergütungen bis zu 100% auszuzahlen sind. Eine hellsichtige Prognose, wenn man die neueste Rechtsprechung des OLG München zum § 63 a genauer betrachtet. Ebenfalls nicht thematisiert wurde im Rahmen der Gesetzgebung die Abtretung der Vergütungsansprüche nach ihrer Entstehung; sprich nach Veröffentlichung des Werkes in einer Publikation, die die Kopie ermöglicht.
Klage gegen die VG Wort und Urteil des OLG München vom 17.10.2013
Der vermeintliche Frieden in der VG Wort nach der Neufassung von 2008 war nur von kurzer Dauer. Ein wissenschaftlicher Autor - Mitglied der VG Wort, Aufsichtsbeamter des Deutschen Patentamts von 1985 bis 1989 -, der die gemeinsame Verteilung in den VGs Bild-Kunst und Wort maßgeblich mitbestimmte und später als Mitglied der "Professorenkommission" an der Formulierung des Urhebervertragsrechts beteiligt war, erhob 2011 Klage gegen die Fortsetzung der gemeinsamen Verteilung.
Dies war sein gutes Recht. Niemand ist gehindert, frühere Positionen in Folge besserer Einsicht zu revidieren und durch Anrufung der Gerichte Formulierungsfehler im Gesetz aufdecken zu lassen. Auf etwaige Kollateralschäden zu achten ist ein Kläger, der sein individuelles Interesse in den Vordergrund stellt, nicht verpflichtet.
Sein Prozess gegen die VG Wort, in dem soeben das OLG München in zweiter Instanz dem Kläger weitgehend Recht gegeben hat, hat immerhin Erkenntnisse gebracht, die vermutlich nicht nur die Beteiligten, sondern auch den Gesetzgeber noch lange beschäftigen werden.
Das OLG München hat nämlich die Entscheidung der Vorinstanz weitgehend bestätigt und in etwa Folgendes festgestellt: Ein Urheber, der vor Veröffentlichung eines Textes einer Verwertungsgesellschaft beigetreten ist, kann die Vergütungsansprüche für diesen Text später nicht noch einmal seinem Verleger mit dem Ziel der gemeinsamen Aufteilung der Vergütungen nach dem Verteilungsplan der VG Wort abtreten. Er hat Anspruch auf die Auszahlung in voller Höhe der auf das Werk entfallenden Vergütung. Anderslautende Satzungsregelungen und Verteilungspläne der VG Wort wischte das Gericht unter Hinweis auf das Verbot der Verwendung überraschender Klauseln nach dem Gesetz über Allgemeine Geschäftsbedingungen vom Tisch.
Andererseits erklärte das Gericht auch für rechtens, dass Urheber, die der VG Wort nicht beigetreten sind, ihre Vergütungsansprüche, wenn sie dem Grunde nach bereits entstanden sind (also z.B. nach Veröffentlichung des Werks in einem Buch oder einer Zeitschrift), einer Organisation bzw. einem Verleger abtreten können, der die Vergütung in vollem Umfang und ohne jede Beteiligung des Urhebers bei der VG Wort entgegennehmen kann.
Konsequenzen des Urteils
Das geltende System, in dem die Mitglieder einer Verwertungsgesellschaft ohne Rücksicht auf konkrete Formulierungen bei der privaten Vervielfältigung, bei der Bibliothekstantieme in den mit Verlegern geschlossenen Verträgen praktikable Verteilungsregelungen treffen - in manchen Fällen auch auf Regelungen ganz verzichten -, wird massiv in Frage gestellt. Dabei geht es bei der geltenden Praxis vor allem darum, Verwaltungsaufwand zu sparen und Vertragsbeziehungen zwischen Kulturverwertern und Urhebern zu vereinfachen bzw. gemeinsam zu fairen Verteilungsregeln zu gelangen. Nach dem Urteil des OLG soll jetzt bei der Rechteeinräumung nur noch der formale Prioritätsgrundsatz gelten.
Umgekehrt gilt aber auch: Hat der Urheber nicht zuerst einen Wahrnehmungsvertrag abgeschlossen, sondern zuerst seine Vergütungsansprüche im Verlagsvertrag dem Verleger eingeräumt, so ist dieser nicht gehindert, diese Ansprüche entsprechend der Befürchtung von Loewenheim in eine andere Gesellschaft als die VG Wort einzubringen, in der er einen höheren Anteil erhält; ob er sie überhaupt einbringt, kann der Urheber kaum kontrollieren. Die anfangs geschilderte Vielfalt der Quoten in den Filmverwertungsgesellschaften feiert fröhliche Urständ.
Wenn das Urteil vom BGH bestätigt werden sollte (die VG Wort hat erklärt, Revision einzulegen), müssen die Verwertungsgesellschaften zukünftig vor jeder Ausschüttung prüfen, wann das vervielfältigte Werk erschienen ist und wer daran die Rechte hat: Hat der Urheber vor Vervielfältigung zuerst einen Wahrnehmungsvertrag oder Verlagsvertrag abgeschlossen? Hat der Verlag oder der Urheber das Werk gemeldet? Ist der Anspruch nach Entstehung abgetreten worden?
Urheber und Verleger müssen jetzt gemeinsam genau prüfen, wie sie in Zukunft ihre Vertragsbeziehungen ausgestalten wollen. Das kann Auswirkungen auf die Aufteilung anderer Rechte haben, die Hauptgegenstand der Verträge sind; auch im Hinblick auf die neuen digitalen Verwertungsmöglichkeiten.
Die Verleger werden prüfen müssen, ob sie nun doch wie die anderen Kulturunternehmen ein eigenes Leistungsschutzrecht fordern oder ob ihnen ein minderer, gesetzlich geregelter Beteiligungsanspruch an der privaten Vervielfältigung ausreicht. Immerhin hat der Deutsche Bundestag in der vergangenen Legislaturperiode mit Einführung des Leistungsschutzrechts für Zeitungsverleger einen zaghaften und wegen der konkreten Gestaltung angegriffenen Schritt in diese Richtung unternommen.
Schließlich sind die internationalen Auswirkungen noch gar nicht absehbar, denn die Kooperation zwischen Urhebern und Verlegern ohne eigenständiges Leistungsschutzrecht hat nicht nur in Deutschland, sondern in nahezu allen Ländern mit kontinentaleuropäischer Rechtstradition eine feste Basis. Jede Änderung in einem Land hat Auswirkungen auf die anderen Partner und den internationalen Austausch der Vergütungen durch Verwertungsgesellschaften. Konsequenzen für die gegenwärtig laufenden Arbeiten an der EU-Richtlinie, die die Arbeit der Verwertungsgesellschaften zum Gegenstand hat, sind denkbar.
Der Kläger hat vorerst sein Ziel erreicht: Er muss in Bezug auf seine klagegegenständlichen Werke nicht mit seinem Verlag teilen.
Ob allerdings sein Verfahren dazu führen wird, dass Urheber in VG Wort, VG Bild-Kunst und ggf. in anderen Verwertungsgesellschaften wie der GEMA künftig "das Doppelte" bekommen werden und in der Vergangenheit hätten bekommen müssen, ist angesichts der Komplexität der Materie höchst zweifelhaft. Vielmehr ist nun größte Sorgfalt geboten, um zu verhindern, dass am Ende das gesamte System der zulässigen privaten Vervielfältigung gegen angemessene Vergütung in Scherben fällt.
6.11.2013
Autor: Prof. Dr. Gerhard Pfennig, Sprecher der Initiative Urheberrecht
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