Neue elektronische Abstimmungsmöglichkeiten in der MV

Das neue Gesetz über Verwertungsgesellschaften (VGG) will die Rechte der Mitglieder stärken. Zu diesem Zweck wurden am 1. Juni 2016 eine Reihe von Bestimmungen erlassen, die auf mehr Transparenz, bessere Kontrolle und erweiterte Kompetenzen abzielen. Der Verwaltungsrat der Bild-Kunst befasste sich am 26. August in Berlin mit einer weiteren, allerdings umstrittenen Neuregelung: ab 2017 müssen die Mitglieder von Verwertungsgesellschaften ein Recht auf elektronische Abstimmung erhalten.

Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn die Teilnahmemöglichkeiten der Mitglieder an den Regelungen der Angelegenheiten ihres Vereins gestärkt werden. Und unzweifelhaft liegt es im Trend der Zeit, demokratische Willensbildung durch digitale Partizipation zu verbessern - wenn es denn so einfach wäre. Denn bei der Beschlussfassung in der Mitgliederversammlung einer Verwertungsgesellschaft geht es ja nicht um Triviales. Hier werden Entscheidungen getroffen, die Auswirkungen auf die Verteilung von Millionensummen haben. Deshalb ist es essentiell, dass die Beschlüsse verfahrenstechnisch unangreifbar zustande kommen. Ansonsten droht Rechtsunsicherheit und im schlimmsten Fall die Rückabwicklung von Ausschüttungen.

Systeme zur elektronischen Abstimmung gibt es noch nicht sehr lange. Wichtige Institutionen, allen voran der Bundestag, halten sich momentan noch zurück. Auch wenn der Trend eindeutig in Richtung elektronischer Abstimmung geht, befinden wir uns in einer frühen Phase. Vor diesem Hintergrund hatte sich die Bild-Kunst im Gesetzgebungsverfahren zum VGG wiederholt dafür eingesetzt, den Zwang zur Einführung einer elektronischen Abstimmungsmöglichkeit zu verschieben, bis ausgereifte technische Systeme zur Verfügung stehen. Doch die Beamten des Justizministeriums und die Berliner Politiker zeigten in diesem Punkt kein Einsehen: ab 2017 müssen die Verwertungsgesellschaften liefern.

In den Gremien der Bild-Kunst setzte sich dadurch der Eindruck fest, dass Verwertungsgesellschaften hier als „Versuchskaninchen“ missbraucht werden. Die Bild-Kunst war bisher schon durch ihre Prinzipien, alle Berechtigten zu Vereinsmitgliedern zu machen, allen das gleiche Stimmrecht zu gewähren und unbegrenzte Stimmübertragungen zuzulassen, eine der demokratischsten Verwertungsgesellschaften überhaupt. Der zusätzliche Nutzen einer elektronischen Stimmabgabe ist gering – die Kosten dagegen gewaltig: bis zu EUR 150.000,- pro Jahr fallen an, wenn man ein halbwegs sicheres System einsetzen will. Und das ist erforderlich, um der Nichtigkeit von Beschlüssen aufgrund technischen Versagens vorzubeugen. Geradezu provokant erscheint vor diesem Hintergrund die Prognose des zusätzlichen Bürokratieaufwands im Rahmengesetz zum VGG: man hat sich dort schöngerechnet, dass auf alle (!) deutschen Verwertungsgesellschaften durch alle (!) neuen Bestimmungen gerade einmal EUR 360.000,- an zusätzlichen Kosten veranlasst werden. Das solche Scheinberechnungen Bestandteil eines Gesetzes werden können, ist unbegreiflich. 

Die Bild-Kunst wird ebenso wie die GEMA und die VG Wort ein System der „elektronischen Briefwahl“ einführen. Eine elektronische Simultanabstimmung von abwesenden Mitgliedern während der Mitgliederversammlung wäre technisch zwar machbar, aber mit hohem Risiko verbunden. Zertifizierte Systeme gibt es in diesem Bereich noch nicht, wohl aber für die elektronische Briefwahl. Hier konnte ein einziger Anbieter auf dem Markt nach einem achtjährigen Prüfungsverfahren die Bestätigung des Bundesamtes für Informationssicherheit erlangen, dass sein Verfahren die Wahlgrundsätze (unmittelbar, frei, gleich, geheim) technisch umzusetzen in der Lage ist. Mit diesem Anbieter wird die Bild-Kunst zusammen arbeiten.

Die Einführung der Möglichkeit der elektronischen Briefwahl, die übrigens nichts an der Möglichkeit der Stimmübertragung ändert, erfordert eine Neuorganisation der Abläufe: im Mittelpunkt steht die zeitliche Trennung der Berufsgruppenversammlungen und der Mitgliederversammlung, die nach dem herkömmlichen System stets am gleichen Tag stattgefunden haben. Nach dem neuen System werden die Berufsgruppenversammlungen nun eigenständig Anfang Mai einberufen. Die Mitglieder beraten hier die Anträge an die Mitgliederversammlung und alle drei Jahre werden die Kandidatinnen und Kandidaten für die Gremienämter gewählt.

Anfang Juni wird dann zur ordentlichen Mitgliederversammlung eingeladen, die voraussichtlich Ende Juli stattfinden wird – ca. einen Monat später als bisher. Die Mitglieder haben drei Möglichkeiten, an den Wahlen und Abstimmungen teilzunehmen: sie können persönlich an der Versammlung teilnehmen, sie können ihre Stimme einem Vertreter übertragen und sie können elektronisch abstimmen. Hierzu wird man sich anmelden müssen, um die Zugangsparameter zu erhalten (PIN/TAN-System). Dann wird ein knapp zweiwöchiges Fenster angeboten, in dem das Mitglied jederzeit online abstimmen kann.

Damit alle Mitglieder über die gleichen Anträge abstimmen, wird es in der Mitgliederversammlung selber nicht mehr gestattet sein, Änderungsanträge zu stellen. Das ist einer der Nachteile des neuen Systems, der jedoch dadurch kompensiert wird, dass sich das Mitglied in den oben geschilderten Berufsgruppenversammlungen einbringen und dort Einfluss auf die Anträge nehmen kann.

Eine der größten Herausforderungen für die Bild-Kunst besteht darin, die häufig sehr juristischen Abstimmungsgegenstände so nicht-juristisch wie möglich in schriftlicher Form zu erläutern, damit Mitglieder sich eine fundierte Meinung darüber bilden können, worüber sie elektronisch abstimmen.

Die endgültige Entscheidung über die Einführung dieses neuen Systems soll die außerordentliche Mitgliederversammlung der Bild-Kunst im Dezember 2016 fällen. Das Gesetz lässt allerding nur Spielräume bei der Frage der Ausgestaltung der Verfahren.