TV goes online - Wer zahlt die Rechnung?

Aktuelle EU Gesetzgebungsverfahren haben das Potential, die bisherigen Regeln für die gesamte Film- und Fernsehbranche auf den Kopf zu stellen. Das ist zum einen die geplante neue Urheberrechts-Richtlinie Copyright und zum zweiten die neue Rundfunk-Verordnung CAB/SAT. Die Rundfunkverordnung steht zwar im Schatten des Richtlinienentwurfs, selten aber war eine EU-Verordnung derart umstritten.

Konkret geht es in der Rundfunkt-Verordnung darum, dass allen EU-Bürgern die Onlinedienste der Rundfunk- und Fernsehsender europaweit verfügbar gemacht werden, ähnlich, wie die Satelliten-Verordnung dies seit über 20 Jahren regelt. Nun soll es noch einfacher werden – ohne lästige zusätzliche Technik. Alles soll einfach aufs Handy oder Tablet. Und schnell soll es gehen. Dabei hilft allein, dass eine EU-Verordnung direkte Geltung beansprucht und nicht erst in nationales Recht umgesetzt werden muss. Mit ihrem Initiativrecht ausgestattet legte die EU-Kommission den ersten <link https: ec.europa.eu transparency regdoc rep de external-link-new-window externen link in neuem>Entwurf der Verordnung Mitte September 2016 vor.

Das Urheberrecht wird als Hindernis für Verbraucher gesehen

Dem Verordnungsentwurf liegt der Befund der Kommission zugrunde, dass das Urheberrecht zunehmend die europaweite Verbreitung von neuen Vertriebskanälen für Radio- und TV-Inhalte erschwert: Mediatheken, Catch-Up Dienste, Podcasts und Simulcasting, also die gleichzeitige Online-Ausstrahlung von herkömmlich verbreiteten Programmen, nutzen das Internet als Plattform und machen es für Anbieter notwendig, die erforderlichen Lizenzen für jedes einzelne Land zu erwerben. Werden keine Rechte erworben, wird ein Service in dem entsprechenden Land geblockt. Das ist der Kommission ein Dorn im Auge.

Selten war sich die Filmbranche in ihrer Ablehnung so einig

Die Gegner dieser Argumentation, insbesondere die Filmurheber und Produzenten, sehen in der jetzigen Territorialität der Rechtevergabe jedoch das entscheidende Instrument, sich zu finanzieren. Selbst wenn man anerkennt, dass es sich nicht um synchronisierte Fassungen handelt, sondern die Originalversionen. Wird im gesamten europäischen Raum online verbreitet, droht das bisherige, fein austarierte System der Lizenzen zu kollabieren.  Die Filmindustrie <link https: www.oxera.com latest-thinking publications reports the-impact-of-cross-border-access-to-audiovisual-c.aspx external-link-new-window externen link in neuem>fürchtet europaweit Verluste in Höhe von 8,2 Milliarden Euro und sie warnt davor, dass dann nur noch die Hälfte der heutigen TV-Produktionen finanziert werden könnten.

1400 Anmerkungen zu einem Gesetzesentwurf von fünf Seiten

In den Ausschüssen des Europaparlaments und in den Beratungen der Mitgliedsstaaten hat man die Warnungen ernst genommen: Schon vor Monaten wurde verkündet, dass Sportrechte und Rechte an Kinospielfilmen ausgenommen werden sollten. Im Europäischen Rat wird derzeit diskutiert, das neue System nur auf Eigen- und vollfinanzierte Auftragsproduktionen der Sender anzuwenden. Doch allein das würde bedeuten, dass rund 95% des Programms der Sender online geht.

Der Rechtsausschuss JURI des EU- Parlaments ist nach hochkontroversen Debatten mit seiner Entscheidung am 21. November 2017 noch weitergegangen und hat die geplante Anwendung auf Nachrichten und aktuelle Berichterstattung einengt. Für die Filmurheber und Auftragsproduzenten der Sender wäre es in den weiteren Abstimmungsverfahren extrem wichtig, dass sich diese Position des Rechtsausschusses durchsetzt. Warum?

Deutsche Fernsehproduktionen, seien es Spielfilme, Serien oder Dokumentationen, werden heute regelmäßig im Wege der vollfinanzierten Auftragsproduktion verwirklicht. Im Gegenzug erhält der Sender alle Rechte für die Sendung und (!) das Onlinestellen der Produktion eingeräumt (§ 88 und 89 UrhG). Es besteht hier kein Bedarf an einer Vereinfachung der Rechteklärung.

Setzen sich die Sender durch, würden sie Giganten. Aber zahlen wollen sie nichts.

Warum fordern die öffentlich-rechtlichen Sender also eine Vereinfachung des Rechteerwerbs? Fakt ist, dass Filmproduzenten und einige Filmurheber unter den aktuellen Verträgen Zuschläge erhalten, wenn die von ihnen gestalteten Filmwerke ins Ausland verkauft werden oder im Ausland online abrufbar sind. Eine gesetzliche Fiktion, nach der so getan wird, als ob alle Onlineabrufe nur im Heimatland stattfinden, ließe diese Vergütungsklauseln ins Leere laufen. Bestenfalls müssten sie neu verhandelt werden. Der Ausstieg des Sports und Hollywoods ist Beweis genug, dass die Bezahlung nicht besser wird.

Niemand will den Zusammenhang von Nutzung und Vergütung sehen

Ganz zu schweigen von den Vergütungen für Filmurheber. Diese gehen seit Jahren nach unten und der strukturelle Umbau der öffentlich-rechtlichen Sender wird die Einkünfte weiter schmälern. Die Lage der Filmurheber ist bereits jetzt angespannt. Wird die Verordnung mit einem umfangreichen Programm beschlossen, ist der weitere soziale Abstieg vorprogrammiert. Er wird billigend in Kauf genommen.

Der Sport und Hollywood wird geschont - die heimischen Künstler dem Ungewissen übergeben.

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Der zuständige Berichterstatter Tiemo Wölken, SPD hat bereits angekündigt, einen ungewöhnlichen Weg zu beschreiten. Da sein senderfreundlicher Entwurf der Verordnung im JURI-Ausschuss mit Pauken und Trompeten durchgefallen ist, will er die Diskussion ins Plenum des EU-Parlaments tragen, um so die Entscheidung des Ausschusses auszuhebeln. Die entsprechenden Quoren hat er mittlerweile beisammen.  Auf der Haben-Seite kann er bereits verbuchen, den seit Jahren geforderten unverzichtbaren Vergütungsanspruch für Online-Nutzungen verhindert zu haben.

Man darf sich fragen: warum wollen die EU-Politiker, vor allem die der SPD, eigentlich der mächtigen Sportlobby und Hollywood das etablierte Vergütungssystem belassen und nur die heimischen Filmurheber und Produzenten der Ungewissheit gesetzgeberischer Experimente aussetzen? Wollen die Politiker und die Ministerialbeamten wirklich die kulturelle Eigenständigkeit Europas riskieren? Das kann man SPD-Politikern nach dem letzten Parteitag in Berlin ernsthaft nicht unterstellen. Der Verdacht: Entweder sie stehen den öffentlich-rechtlichen Sendern gefährlich nahe, dass sie ihre eigene Klientel verraten, oder sie haben die Mechanismen, über die sie entscheiden sollen, einfach nicht verstanden.

Die EU muss ausbaden, was in der Branche ungeklärt ist

Der Widerstand entzündet sich in einem wesentlichen Teil an der mangelnden Bereitschaft der Sender, für diese erweiterte Nutzung auch zu honorieren. Erst ein klarer Zusammenhang von Nutzung und Vergütung kann den sozialen Frieden in eine Debatte bringen, die von äußerst heterogenen Aspekten und essentiellen Eigeninteressen geprägt ist. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die EU-Parlamentarier ausbaden durften und dürfen, was in der Branche zwischen den Sendern und den ihnen zuarbeitenden Kräften seit Jahren in der Konfliktlösung versäumt wurde.

Keine Experimente – Kabelerlöse sind bislang gesichert
Am 21. November war es den konservativen und liberalen Abgeordneten gelungen, die senderfreundlichen Experimente des Berichterstatters Tiemo Wölken, SPD auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Ob sie dabei auch die Interessen der Filmurheber im Blick hatten oder nur diejenigen der Filmproduzenten, mag dahingestellt sein.

Jedenfalls kann das Paket aus Sicht der Urheber als positiv bewertet werden: neben der Absage an die besagten Experimente enthält es Regelungen zur Absicherung der Vergütung für Kabelweitersendung, die für Urheber und Leistungsschutzberechtigte eine wichtige zusätzliche Einkommensquelle darstellen.

Wie geht es weiter?

Ob es dabei bleibt, ist freilich längst nicht sicher:
Zunächst ist die von Timo Wölken, SPD initiierte Abstimmung im Plenum des EU-Parlaments abzuwarten. Sie ist für Dienstag, den 12. Dezember, angesetzt. Stimmt eine einfache Mehrheit für seinen Antrag, würde über die Verordnung im Parlament neu verhandelt. Nur wenn er verliert, steht die urheberfreundliche Fassung des Ausschusses als Meinung des Parlaments fest.

Danach geht es in den so genannten „Trilog“: Parlament, Europäischer Rat und EU-Kommission müssen einen Kompromiss finden. Die Position der Kommission ist dabei am urheberfeindlichsten, der Rat steht in der Mitte und nur das Parlament – wenn sich Wölken nicht durchsetzt – könnte die Waagschale noch etwas in Richtung Urheberinteressen bewegen.

Es sieht also nicht gut aus. Zu verdanken haben wir dies einer unheiligen Allianz zwischen selbsternannten „progressiven Kräften“: der EU-Kommission, öffentlich-rechtlichen Sendern, Verbraucherschützern und Sozialdemokraten/Sozialisten im Europäischen Parlament. Hoffen wir für dieses Mal, dass die Konservativen die Interessen der Urheberinnen und Urheber schützen.