
Das OLG wies in seinem Urteil vom 10.12.2025 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 27.09.2024 zurück. Wir berichteten hier und wiesen darauf hin, dass die VG Bild-Kunst den Kläger finanziell unterstützt. Das OLG ließ die Revision zum Bundesgerichtshof zu: Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts erfordere eine Entscheidung des Revisionsgerichts.
Dem Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der in Hamburg registrierte Verein LAION e. V. (gegründet u. a. mit dem Zweck „Schaffung der Infrastruktur für Demokratisierung der Erzeugung und Nutzung von großen KI-Netzwerkmodellen“) stellt aus Sicht des OLG eine nicht kommerziell tätige Forschungseinrichtung dar. LAION fertigte in der zweiten Jahreshälfte 2021, nach Inkrafttreten der Umsetzung der DSM-Richtlinie in Deutschland, einen Datensatz aus 5,85 Milliarden Bild-/Textpaaren an. In diesem Prozess vervielfältigte er auch eine Fotografie des Klägers, die aus dem Webauftritt einer Bildagentur heruntergeladen wurde. Der Datensatz wurde bestimmungsgemäß zum KI-Training verwendet und liegt u. a. den kommerziellen KI-Modellen von Midjourney und Stable Diffusion zugrunde. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob sich eine weitere Vervielfältigung der Fotografie in den späteren KI-Modellen befindet, ob die Fotografie also in den Modellen reproduzierbar enthalten ist (Memorisierung).
Das Verfahren ist bedeutsam für die Frage, welche Handlungen als Text- und Data-Mining von Gesetzes wegen erlaubt sind und für welche Handlungen Einwilligungen eingeholt werden müssen. Das Gesetz kennt zwei Schranken: § 44b Urheberrechtsgesetz (UrhG) ist anwendbar auf kommerzielles Text- und Data-Mining (TDM), § 60d UrhG auf TDM zu Forschungszwecken. Beide beruhen auf der europäischen DSM-Richtlinie (Digital Single Market Directive).
Das Berufungsgericht hält in diesem Fall beide Schranken für einschlägig und macht ausführliche Ausführungen sowohl zu § 44b UrhG als auch zu § 60d UrhG, obwohl letztere ausgereicht hätte. Die Rechtswissenschaft dankt.
Die Rechtsauffassung, dass die TDM-Schranken nicht auf das Training generativer KI-Modelle anwendbar seien, da der europäische Gesetzgeber diese im Gesetzgebungsprozess gar nicht vor Augen hatte, lehnt das OLG ab. Es verweist dabei auf Erwägungsgrund 3 der DSM-Richtlinie, nach der die Vorschriften zukunftstauglich sein sollen, um die technologische Entwicklung nicht zu behindern.
Die Anwendbarkeit des § 44b UrhG setzt voraus, dass der Rechteinhaber oder die Rechteinhaberin keinen maschinenlesbaren Nutzungsvorbehalt (Opt-out) erklärt hat. Im vorliegenden Fall hatte die Bildagentur, von deren Website die Fotografie heruntergeladen wurde, zwar einen solchen Nutzungsvorbehalt erklärt. Positiv ist, dass diese Erklärung vom Gericht so verstanden wurde, dass sie auch dem klagenden Fotografen zugerechnet wurde. Jedoch sah es das OLG als Problem an, dass der Vorbehalt in Textform erklärt wurde und zudem ausgelegt werden musste. Die Agentur untersagte nämlich nur die „automatische Auswertung“ der Inhalte, nicht das „Text- und Datamining“. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass natürliche Sprache im Jahr 2021 eine „maschinenlesbare Form“ dargestellt habe. Ob natürliche Sprache heute – zum Jahreswechsel 2025/26 – maschinenlesbar ist, lässt das OLG offen. Damit bleibt auch die Streitfrage offen, welche Anforderungen heute an ein maschinenlesbares Opt-out gestellt werden müssen.
Aus Sicht der VG Bild-Kunst ist das eigentliche Problem des Urteils die Anwendung der zweiten Schranke auf den Sachverhalt des § 60d UrhG. Diese gibt den Rechteinhaber*innen weder eine Opt-out-Möglichkeit noch einen Vergütungsanspruch. Er stellt einen Freibrief für Text- und Data-Mining durch nicht kommerzielle Forschungsorganisationen dar, zu denen das Gericht den Verein LAION zählt. Denn entsprechende Hürden sind gering:
- „Die Erstellung des Datensatzes durch den Beklagten stellt bereits selbst wissenschaftliche Forschung dar.“
- „Auch die spätere Verwendung des Datensatzes für das Trainieren von Künstlicher Intelligenz ist als wissenschaftliche Forschung anzusehen.“
So weit, so gut, aber dann führt das Gericht aus:
„Dabei steht der Einordnung als Nutzung für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung nicht entgegen, dass der Datensatz auch von kommerziellen Anbietern genutzt werden kann und dass Mitarbeiter des Beklagten auch für kommerzielle Unternehmen der KI-Branche arbeiten. Dem vom Beklagten verfolgten Open-Source-Ansatz ist es immanent, dass die Ergebnisse der Arbeit des Beklagten jedermann und damit auch kommerziellen Anbietern zur Verfügung stehen. Wie ausgeführt, stellt auch die (Weiter-)Entwicklung von KI-Modellen durch kommerzielle Unternehmen angewandte Forschung dar.“
Damit wird die gesetzgeberische Entscheidung, zwischen kommerziellem und nicht kommerziellem TDM zu unterscheiden, ad absurdum geführt. Das Gericht gibt nichts anderes als eine Handlungsanleitung zur Umgehung des § 44b UrhG. Auf das maschinenlesbare Opt-out kommt es gar nicht mehr an. Alle Werke können nach dieser Rechtslage unvergütet und ungefragt zum KI-Training verwendet werden, jedenfalls solange die milliardenschweren KI-Unternehmen ein wenig in die gesellschaftsrechtliche Trickkiste greifen.
Dass das Gericht unter diesen Umständen die zulässige Nutzung auch nach Durchführung des Drei-Stufen-Tests bejaht, scheint eine der Schwachstellen des Urteils, die in weiteren Instanzen überprüft werden sollte. Denn die Frage, was „fair use“ bedeutet – in den USA die Kernfrage in den dortigen 52 Gerichtsverfahren –, kann man wohl eher nicht auf einer Textseite (!) abhandeln.
Klar ist nach der Lektüre des Urteils:
- Es besteht dringender politischer Handlungsbedarf: Die verfehlten Regelungen der Artikel 3 und 4 der DSM-Richtlinie, die unseren deutschen Normen zugrunde liegen, müssen im Zuge der anstehenden Evaluierung der DSM-Richtlinie überarbeitet werden.
- Natürlich wird es Stimmen geben, die zu Verzögerungen aufrufen: Man solle den weiteren Instanzenzug abwarten. Das ist eine Falle! Denn die Evaluation der DSM-Richtlinie findet jetzt statt und nicht erst in fünf Jahren.
- Die Zeit der Spiegelgefechte und Scheindebatten über vermeintlich einfache technische Lösungen, wie zum Beispiel Robots.txt und anderen Schmarrn, muss vorbei sein. Wir brauchen jetzt den großen Wurf auf EU-Ebene und sollten die Debatte in diese Richtung lenken.